Apel Linie

Was ich über die Familie Apel weiß, beruht größtenteils auf Erzählungen von meiner Großtante Adelheid Zeiske, geb. Apel.

Lorenz und Katharina

Katharina Herold und Lorenz Apel

Lorenz Apel und Katharina Herold wohnten in Bahrendorf in der Magdeburger Börde. Sie waren wohlhabend, denn sie bewohnten ein eigenes Haus mit großem Garten. Lorenz hatte einen Zigarrenhandel, und Katharina betrieb ein Kaffeegeschäft. Der Kaffee lagerte in einem großen Eckschrank in der Diele, und das ganze Haus duftete nach Kaffee. Damals kostete ein Pfund beste arabische Bohne 1 Mark 20 Pfg.

“Ein Apel grüßt nicht, ein Apel lässt grüßen”

Die Apels hatten einen großen Bekanntenkreis im Dorf. Die Damen trafen sich einmal in der Woche wechselweise zum Kaffeeklatsch, Lorenz machte inzwischen einen Spaziergang und schaute beim Apotheker, Arzt oder Pfarrer vorbei. Dabei trug er eine weiße Leinenbluse mit Ärmelbündchen, darüber eine Weste und auf dem Kopf ein Käppchen. Er ging nie ohne seine Rosenholzpfeife und wurde von seinem Spitz Phylax begleitet. Lorenz war groß und schlank und wirkte asketisch. Er war sehr ernährungsbewusst, aß nie zu viel, trank aber zum Mittagessen sein Gläschen Rotwein. Adelheit, seine Nichte zitierte ihn mit den Worten “Ein Apel grüßt nicht, ein Apel lässt grüßen”. Dann ging Lorenz in sein und Katharina in ihr Zimmer zur Mittagsruhe. Vorher kam noch die Enkelin Auguste nach der Schule zu ihm. Er lag auf der Couch, sie spuckte auf seinen Kopf und bürstete und kämmte sein dichtes weißes Haar. Dabei pflegte er einzuschlafen. Lorenz sprach einwandfreies Hochdeutsch, während meine UrUr-Großmutter Katharina sich im Bördeplatt wohler fühlte. Katharina weckte ihren Mann meistens um drei Uhr zum Kaffeetrinken. Als er eines Tages nicht auf ihr Rufen reagierte, musste sie entdecken, dass er im Schlaf gestorben war. Sie war offensichtlich so schockiert, daß sie in ihr Zimmer ging und sich wieder in ihr Bett legte. Dort fand ihre Tochter Auguste sie Stunden später. Sie stand nicht wieder auf und starb drei Tage nach ihrem Mann. Sie wurden nebeneinander auf dem Friedhof in Bahrendorf beigesetzt.

Verewigt im Portal von St. Johannes

Lorenz und Katharina Apel im Portal der Johanneskirche

Lorenz und Katharina Apel wurden im Tympanon der Johanneskirche in Magdeburg verewigt. Der Bildhauer Heiner Apel (Cousin meines Vaters) hat 1975 die Figuren seiner Urgroßeltern in Bronze gegossen. Während in den Türen die Schrecken des Krieges dargestellt sind, (die Kirche wurde durch Bomben zerstört), sollen die einträchtig nebeneinandersitzenden alten Leute Frieden und Harmonie symbolisieren.

Friedrich Müller und Therese Brodrik

In die gleiche Generation wie Lorenz und Katharina Apel gehören Friedrich Müller und Therese Müller, geb. Brodrik (Eltern von Augusta Apel, geb. Müller bzw. Schwiegereltern von Raimund Apel)

Verpasste Sänger-Karriere

Friedrich Müller stammte aus Kalbe an der Milbe. Er starb bereits mit 36 Jahren. Seine Frau lebte in Bahrendorf und zog unter schwierigen Verhältnissen ihre drei Kinder groß: Franz, Augusta und Cäcilie. Franz hatte eine wunderbare Stimme. Wohlhabende Leute im Dorf wollten ihn adoptieren und zum Sänger ausbilden lassen. Aber die Mutter brachte es nicht übers Herz, ihn abzugeben. Franz wurde später Baumeister und recht wohlhabend. Er reiste viel in Deutschland herum und hatte sich in Bayern ein Haus gekauft. Aber seine Frau wollte das Eichsfeld und ihre Verwandtschaft nicht verlassen. Also mußte er das Anwesen wieder aufgeben.

40 Gläser Bier pro Tag

Dieser Franz war über Generationen berühmt dafür, daß er pro Tag 40 Gläser Bier trank. In höherem Alter soll er das Trinken völlig aufgegeben haben. Franz Müller war ein sehr geselliger Mensch. Wenn er z. B. im Zug reiste, dann schmetterte er aus vollem Halse Lieder und erzählte “Wippchen”. Seine Frau Anna verließ dann das Abteil, weil sie sich genierte. Er starb im Alter von 85 Jahren.

30 Jahre Eiszeit nach verschwundenem Mutterkreuz

Seine Schwester Cilli spielte in der Familiengeschichte keine große Rolle, weil die Geschwister sich verzankt hatten. Und das kam so: Therese Müller, geb. Brodrik, hatte als Anerkennung für die von ihr geleistete Erziehungsarbeit an drei vaterlosen Kindern vom König (?) das goldene Mutterkreuz verliehen bekommen, worauf die ganze Familie sehr stolz war. Im Herbst 1917 besuchte sie ihre Tochter Augusta und das neugeborene Kind Adelheid. Auf der Rückfahrt holte sie sich die Influenza und starb innerhalb von zwei Tagen. Nach ihrer Beerdigung war das goldene Mutterkreuz verschwunden, und jeder nahm an, daß Cilli, bei der die Mutter gelebt hatte, das Kreuz an sich gebracht hatte. Das war der Anlass, dass man dreißig Jahre nicht mehr miteinander sprach. Erst 1947 versöhnten sich Cilli und Augusta, allerdings wurde dabei nicht über das verschwundene Kreuz gesprochen.

Raimund Apel und Augusta Müller

Augusta Apel, geb. Müller, Tochter der oben erwähnten Mutterkreuzträgerin und Raimund Apel sind die Großeltern von Hans-Georg Greve und meine Urgroßeltern.

Augusta Müller und Raimund Apel

Raimund Apel geboren am 21. Juni 1872 war ein Nachkömmling (fünftes Kind) und wurde daher von der Mutter sehr verwöhnt. Er war ein Feinschmecker. Wenn er die Suppe nicht mochte, briet ihm die Mutter etwas Besonderes, wenn der Vater schlief. Er aß Zeit seines Lebens gern etwas “Gegabeltes”. Später wurde er Inspektor auf dem Gut des Kammerherrn und Rittmeisters Otto Ernst von Trotha (29.9. 1870 – 2. 2. 1940), der in Schloss Hecklingen residierte.

Es gab Freibier und gutes Essen, Blasmusik und Tanz

Die Familie Apel bewohnte ein schönes Haus auf dem Gut, und mein Ur-Großvater war verantwortlich für die gesamte Landwirtschaft und all die Leute, die dort ständig oder als Tagelöhner oder Saisonarbeiter beschäftigt waren. Die letzteren holte er im März aus Polen, und sie blieben bis Ende Oktober. Bevor sie abrückten, wurde Erntedankfest gefeiert. Der Kammerherr und auch der Inspektor bekamen eine bunt geschmückte Erntekrone überreicht, im Garten wurden Tische aufgestellt. Es gab Freibier und gutes Essen, Blasmusik und Tanz. Im November folgte dann die Jagdsaison, die mit einem großen Bankett im Jagdsaal abgeschlossen wurde. Bei dieser Gelegenheit erschien die alte Kammerfrau in schwarzer Robe mit weißem Spitzenfouchet, das weiße Haar frisch onduliert. Aber lachen konnte sie nicht, denn um die Falten zu kaschieren, wurden die Gesichtshaut und das Dekolleté mit einer Wachsmaske überzogen.

“Trotzt dem Unsinn”

Ur-Großvater Apels Verhältnis zum alten Kammerherrn war sehr gut, da dieser sich völlig auf Apels landwirtschaftlichen Verstand verließ. Doch soll es einmal vorgekommen sein, als der Alte etwas völlig Unsinniges veranlassen wollte, dass Raimund Apel wutentbrannt nach langer Diskussion sagte: “Ach, lecken Sie mich doch am Arsch”, das hat aber anscheinend keine bösen Folgen gehabt. In Hecklingen sind auch die sechs Kinder von Raimund und Augusta Apel geboren:
  • Franz kam krank aus den Schützengräben des ersten Weltkrieges zurück und starb 1922 an seinen Kriegsverletzungen
  • Anna verh. Runge, adoptierte ein Kind: Margarita (oder Rita) Runge. Diese heiratete den Lehrer Reinhard Banse. Ihre drei Kinder Reinhard, Elisabeth und Kurt leben in Schönebeck an der Elbe, wo Hans-Georg 1995 seine Ausstellung “Wasserschlösser im Münsterland” hatte.
  • Heinrich, Lehrer in Schwaneberg und Vater von Heiner Apel, dem Bildhauer in Magdeburg.
  • Marie Luise, verheiratete Greve
  • Auguste Homann, genannt „Tante Häschen“ lebte in Gelsenkirchen
  • Adelheid, Zeiske, auch genannt die “rote Adel”
Raimund Apel war sehr stolz auf seine Kinder, besonders auf seine Töchter. Wenn es am Sonntag zur Kirche ging, Vater, Mutter und die Mädchen im feinen Sonntagsstaat, dann sah man, daß sie zu den Honoratioren im Dorf gehörten. Dementsprechend verkehrte er mit dem Apotheker, dem Sanitätsrat Dr. Krampe, dem Bürgermeister und dem Kaufmann Schneider, einem Juden. 1923 ging Inspektor Apel in Rente, nachdem er zwei schwere Operationen überstanden hatte (Darmverschlingung, Leistenbruch). Er kaufte in Hecklingen in der Friedrichstr. 1 ein Einfamilienhaus mit großem Garten. Es war eines der schönsten im Ort: Ur-Großvater Apel ließ einen Erker anbauen, fließendes Wasser ins Haus legen und in jedem Zimmer einen Kachelofen setzen.

Abgasfreie Kirschen

Seinen Lebensunterhalt bezog der Ur-Großvater neben einer Rente aus Mieteinnahmen von einem Mehrfamilienhaus in Staßfurt. Den Garten am Haus bewirtschaftete Ur-Großmutter, die darin Blumen zog, daraus Buketts band und diese verkaufte. Ur-Großvater verkaufte auch Kirschen von gepachteten Chausseebäumen. Es gab ja damals kaum Autoverkehr, so dass die Kirschen nicht durch Abgase belastet waren. Auf dem nahegelegenen Ochsenberge hatte er des Weiteren einen großen Garten und ein Feld gepachtet, wo er unterschiedliche Gemüse und vor allem Spargel anbaute. In der Erntezeit stach er bereits morgens um 5 Uhr den Spargel, packte ihn in eine Kiepe und fuhr mit einem halben Zentner auf dem Rücken zum Markt in Staßfurt, ca. 4 km entfernt. Um neun Uhr war alles verkauft, denn er hatte seine festen Kunden, die sein Qualitätsgemüse zu schätzen wussten. Wenn seine Enkelkinder da waren, sammelten sie Pferdemist auf den Straßen. Für einen Handwagen voll gab es einen Groschen, das reichte für den Eintritt ins Schwimmbad und ein Eis. Sonntags kam der Pfarrer zu Besuch. Die Männer rauchten eine Zigarre, tranken einen Schluck Wein und philosophierten. Ur-Großvater kannte vor allem die Schriften des heiligen Paulus in- und auswendig. Später spielte auch die Nazipolitik eine Rolle in den Unterhaltungen.

“Ihr könnt alle kommen, aber um eure Kinder kümmert ihr euch selber”

So lebten die Ur-Großeltern ein tätiges, aber auch behagliches Dasein. Kinder und Enkel kamen gerne zu ihnen. Ur-Großmutter kochte gut, abends gab es Brotschnitten: Die erste mit Gehacktem (teuer, weil gekauft), die zweite mit Blut- oder Leberwurst, alle weiteren mit Schmalz. Ur-Großvater soll den Standpunkt vertreten haben: “Ihr könnt alle kommen, aber um eure Kinder kümmert ihr euch selber. Es reicht, wenn eure Großmutter für alle kocht.”

“Wer zu spät kommt …”

Als das Leben leichter wurde, weil alle Kinder versorgt waren, reisten die Ur-Großeltern manchmal ins Eichsfeld, wo Apels Vorfahren herstammten. Als sie einmal im Wald wanderten, trafen sie einen Eisenbahner, der Augusta an der Ähnlichkeit mit ihrem Bruder Franz erkannte. Er erzählte, daß der ganze Wald eigentlich ihr gehörte und dass er mehrfach in der Zeitung und im Amtsblatt ausgeschrieben worden sei. Da sie sich aber nicht gemeldet hatte, sei ihr Anrecht erloschen und der Wald verkauft worden. — Schade! Ur-Großvater Apel starb im Oktober 1949 mit 76 Jahren an Prostatakrebs. Einige Zeit danach verkauften die Erben das schöne Haus. Die Ur-Großmutter wurde von einem zum anderen herumgereicht. Da sie keine Aufgabe mehr hatte und nur am Kachelofen hocken konnte, wurde sie ein wenig tüttelig. Sie starb 1956 im Alter von 84 Jahren.

Maria Apel, Tochter von Karl Apel, Nichte zu Raimund Apel

Über Maria Apel erzählen meine Eltern eine besonders interessante Geschichte.

Mehr Freiheit für Franziskanerinnen

Maria Apel ging vor ihrem 18. Geburtstag noch einmal kräftig feiern, sie war ein lebenslustiger Mensch. Plötzlich ohne der Familie Andeutungen zu machen ging sie dann ins Kloster. Ein sehr strenges Kloster der Franziskaner in Föhren bei Trier. Dort galt zu der damaligen Zeit die Regel, dass die Nonnen keinen Besuch machen durften bei Verwandten, noch Besuch bekommen durften. Sie durften zwar zum Begräbnis der eigenen Mutter, jedoch nicht zum Begräbnis des eigenen Vaters! Adel & Cousine Elisabeth (Schwester von Maria) empfanden das als eine riesengroße Ungerechtigkeit und schrieben an den Franziskaner-Orden einen saftigen Brief: Argumentation, dass Franziskaner sozial engagiert sein wollen und sie das Gegenteil damit täten, ihre Klosterangehörigen nicht zu ihren Familien zu lassen. Ergebnis: Maria durfte für 3 Wochen zu Besuch nach Hause, durfte ein paar Tage Adel + Elisabeth zu Besuch im Kloster haben und diese Lockerung der Regel galt ab dem Zeitpunkt für alle Nonnen des Ordens.

Maria Apel war sehr innig befreundet mit Rita Greve. Sie starb auf dem Geburtstag von Rita im gleichen Jahr wie Rita 1970.     

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