Der folgende Text stammt überwiegend von meinem Vater Hans-Georg Greve. Seine ursprünglichen Verwandtschaftsverweise, wie z.B. „Vater“ habe ich durch „Großvater“ ersetzt.
Meine väterliche Greve-Linie hat ihren Ursprung in Norddeutschland. Der Name Greve leitet sich lt. Ancestry Namenskunde von der niederdeutschen Form des Wortes “Graf(e)” ab. Auf der Greve-Namenskarte ist eine eindeutige Häufung in Hamburg und in den Landkreisen Rendsburg-Eckernförde sowie Schleswig-Flensburg sichbar.
Die ältesten uns bekannten Greves sind Friedrich Johann Greve und Friederika Dorothea Elisabeth Eggert, meine Ur-Ur Großeltern, die im hohen Norden, in Reinfeld in Schleswig Holstein gelebt haben. Sie waren die Eltern von Wilhelm Greve. In der Heiratsurkunde von Wilhelm wird als Beruf von Friedrich Johann schlicht “Arbeiter” angegeben.
Wilhelm Johann Diederich Greve und Catharina Friederika Margaretha Rönpage
Über meinen Urgroßvater Wilhelm Johann Diederich, geboren am 30. Juni 1856 in Reinfeld konnten wir einiges in Erfahrung bringen. Er heiratet am 6.11.1891 Catharina Rönpage, die damals schon mit ihrem verstorbenen Ehemann Georg Pöschl eine gemeinsame Tochter, Alma Pöschl mit in die Ehe brachte. Die beiden hatten 2 gemeinsame Kinder, meinen Opa Georg Greve und einen ominösen Bruder Fritz Greve, über den es noch mehr zu erzählen gibt. Sie lebten in Hamburg, Wilhelm war Schneidermeister. Wir vermuten, dass er Georg Pöschl beruflich kannte, der auch Schneider war.
Catharina verstarb am 20. April 1910 im Alter von 47 Jahren. Zwei Jahre später heiratet Wilhelm ihre ältere Schwester Margareta Elisabeth Dorothea Rönpage, die (mindestens) ein weiteres Kind, Adele mit in die Patchwork-Familie mit einbrachte. Georg, mein Opa hatte zuletzt also einen echten Bruder, eine Stiefschwester Alma und eine Stiefmutter, mit er sich wohl nicht gut verstanden hat.
Wilhelm verstarb noch während des 1. Weltkrieges am 20.8.1917 in Hamburg, zur Zeit als sein Sohn Georg mit der Kriegsmarine im U-Boot unterwegs war. Margarete verstarb 7 Jahre später am 23. November 1926 in Hamburg.
Ein bedeutendes Andenken an Wilhelm ist seine Schneiderelle, die heute einen ehrwürdigen Platz im Blockhaus gefunden hat. Für die jüngeren unter Euch, eine Schneiderelle oder auch Tuchelle ist ein traditionelles Handwerkzeug des Schneiders, um Tuchbahnen abzumessen. Heute misst die Elle 50 cm, etwa so lang wie der Unterarm(knochen), die Elle.
Die Vorfahren von Margarete und Catharina Rönpage konnten wir über weitere 9 Generationen bis ins 16. Jahrhundert (Hans Freese) zurück verfolgen. Von unseren Kindern aus gerechnet umfasst unsere Ahnentafel hier 14 Generationen.
Georg Greve
Mein Großvater Georg wurde am 29.6.1892 in Hamburg geboren. Er war lt. Standesamtregister erste Kind des Schneidermeisters Wilhelm Greve. Er hatte einen leiblichen Bruder, Fritz Wilhelm Detlef, der ca. 4 Jahre jünger war. Seine Kindheit hat er als ärmlich geschildert. Seine spätere Stiefmutter Margret sei wenig liebevoll gewesen. Als symbolisch dafür erzählte er öfter, dass er graue zwei-rechts-zwei-links gestrickte Strümpfe tragen musste, während alle anderen schwarze trugen.
U-Boot-Fahrer bei der kaiserlichen Marine
Nach der Erlangung der Mittleren Reife an der Mittelschule, (heute Realschule) ging mein Großvater sofort zur See. Er absolvierte eine vierjährige Ausbildung zum Maschinisten (Schiffsingenieur). 1912/13 fuhr er als Maschinisten – Assistent auf verschiedenen Schiffen, worüber das erhaltene Heuerbuch genaue Auskunft gibt. 1913 meldete er sich zur Kaiserlichen Marine, wo er bis Dezember 1918 hauptsächlich in U-Booten fuhr. Eines Tages wurde er mit mehreren anderen abkommandiert zu einem Torpedo-Lehrgang nach Berlin – Lichtenrade. Dort wurde ihnen erklärt, dass diejenigen, die den Lehrgang mit gutem Erfolg bestanden, befördert würden und nicht mehr aufs U-Boot müssten. Großvater witterte eine Falle und stellte sich vorsichtshalber dumm. Und er hatte recht, die fürs Torpedo Ausgebildeten kamen zurück aufs U-Boot.
“Ein Weib! Ein Weib!”
Während seiner U-boot Zeit wurde Georg zwischenzeitlich zum Dienst auf der Kaiserlichen Yacht abkommandiert, die meistens in der Kieler Förde vor Anker lag. Wenn der Kaiser zu Besuch kam, übernachtete er in einer Villa am Düsternbroker Weg. Über eine große Wiese führte ein Pfad zum Anleger, wo eine Barkasse ankerte, die ihn zu seiner Yacht übersetzte. (Mein Vater erzählte uns, dass sie das alles so gut kannten, weil sie 1966 auf einer Urlaubsreise nach Dänemark in dieser zum Hotel umgebauten Villa übernachtet hatten.) Da der Kaiser nicht oft anwesend war, hatten die Jungens nicht viel zu tun und verlebten eine fröhliche Zeit. So erzählte der Großvater schmunzelnd, dass sie einmal in Abwesenheit des Kapitäns eine weibliche Puppe hergerichtet hatten und sie aus einem Bullauge gucken ließen. Als der Kapitän bei seiner Rückkehr die angebliche Frau erblickte, schrie er entsetzt: “Ein Weib! Ein Weib!” Frauen waren an Bord streng verboten. Er veranstaltete eine Riesensuchaktion, natürlich ohne Erfolg. Und Bootsmanns-Maat Greve hatte seinen Spaß gehabt.
150 Mark für mutige Seenot-Rettung im Minenfeld
Nach dem Ende des I. Weltkrieges fuhr mein Großvater wieder zur See, hauptsächlich in der Nord- und Ostsee. 1920 fuhr das Dampfschiff “Babylon” von Danzig nach England und passierte dabei eines der noch zahlreich vorhandenen Minenfelder. Plötzlich fiel ein Dampfkessel wegen eines Lecks aus, so dass die Steuerung des Schiffes nicht mehr voll funktionsfähig war und es auf ein mit Minen verseuchtes Gebiet zu driftete. Mein Großvater bot sich an, den Kessel wieder flottzumachen. Er ließ die Flammrohre herausziehen, damit der Kessel etwas abkühlen konnte. Er durfte aber auch nicht zu viel Zeit verlieren, deshalb kroch er in den noch 60 Grad heißen Kessel und zog einen zentnerschweren Sandsack zum Leck am hinteren Kesselboden. Es gelang ihm, den Riss damit abzudichten.
Er wurde vor Ermattung ohnmächtig, denn er hatte durch das Schwitzen und die übermäßige Anstrengung 10 Kilo an Gewicht verloren. So musste man ihn am Seil wieder herausziehen. Als er aus seiner Ohnmacht erwachte, erfuhr er, dass der Kessel genügend Dampfdruck entwickelt hatte, so dass man an dem Minenfeld vorbei steuern konnte. Auf dem Schiff befanden sich viele polnische Adlige, die vor der neu anbrechenden Zeit in Polen nach England flüchteten. Sie sammelten Geld und bedankten sich mit einem Betrag von umgerechnet 150 Mark bei meinem Großvater. Zurück in Hamburg kaufte Georg sich davon einen schönen Mantel, den er aber bei einem Kaffeehausbesuch an der Garderobe vergaß. Als er kurze Zeit darauf zurückkehrte, war der Mantel bereits verschwunden.
Bruder Fritz lässt Großvater für tot erklären
Am 7. Februar 1920 heuerte mein Großvater auf dem Dampfschiff “Pylos” an. Die Fahrt ging nach Norwegen, um Erz zu laden. Drei Tage später lief das Schiff bei schwerer See und Windstärke 10 auf ein Riff und brach auseinander. Georg und fünf weitere Männer retteten sich auf das Bugteil, das am Riff hängenblieb, während das Heckteil abtrieb und mit der Restbesatzung unterging. Bruder Fritz las in der Zeitung vom Untergang der “Pylos” und ließ flugs meinen Großvater Georg für tot erklären.
Doch die norwegische Bevölkerung kümmerte sich rührend um die Schiffbrüchigen, so konnte mein Großvater im März nach Hamburg zurückkehren, wo kurz vorher sein Vater Wilhelm gestorben war. Fritz hatte inzwischen das gesamte Erbe an sich gerissen, auch die goldene Taschenuhr, die Vater Wilhelm seinem Sohn Georg schon zu Lebzeiten versprochen hatte. Man kann sich vorstellen, wie fassungslos Fritz war, als plötzlich sein totgeglaubter Bruder vor der Tür stand. Es kam zu einer Auseinandersetzung, die zu einer nie wieder eingerenkten Entzweiung führte. Das einzige Andenken, das Fritz herausrückte, ist Urgroßvaters Schneiderelle, die heute in unserem “Eifelhaus” einen gebührenden Platz gefunden hat.
Erbschaft im Fuhlenbrook geschrottet
Meine Tante Rita und mein Vater haben den Onkel nie lebend gesehen. Erst nach seinem Tode in den 60er Jahren wurden sie als Miterben ausfindig gemacht, denn er hatte keine Kinder. Sie trafen in Hamburg die uns ebenfalls unbekannte Frau von Fritz, Lisbeth. Meine Tante und mein Vater erbten jeder ca. 4000 Mark, teils in bar, teils in HEW-Aktien (Hamburger Elektrizitätswerke). Für das Geld kaufte mein Vater meiner Mutter einen gebrauchten NSU – Prinz, den sie nach einem halben Jahr auf einer Kreuzung in Bottrop Fuhlenbrock zu Schrott fuhr. So blieb von dem Erbe nichts übrig.
„Er war arm, schlecht gekleidet, evangelisch und ein Sozi“
Eines Tages ruderte mein Großvater mit einem Freund auf der Kieler Förde herum. Es muss das Jahr 1920 gewesen sein. Sie trafen ein Boot, in dem zwei nette Mädchen saßen. Eins war Marie Luise Apel, genannt Mimi, die bei einer Freundin zu Besuch weilte. Georg Greve blieb meiner Oma auf der Spur, und bald brachte sie ihn mit nach Hecklingen. Da er arm, schlecht gekleidet, evangelisch und auch noch ein Sozi war, passte er den Eltern überhaupt nicht. “Was willst du mit dem ollen Seemann?” fragten sie verächtlich. Aber Mimi ließ sich nicht beirren. Sie brachte ihn dazu, die Ingenieurschule zu besuchen, die er 1922 mit Erfolg abschloss. Sie heirateten, als er eine Stelle als Konstrukteur für Schiffsschrauben bei Krupp in Magdeburg erhielt. Sie hielt das Geld zusammen, das er verdiente. Er konvertierte zum katholischen Glauben, und nach dem Kriege war er sogar eine Zeit lang Kreisverbandsvorsitzender der CDU in Magdeburg. Wie man sieht, hatte meine Oma einen großen Einfluss auf ihren Mann.
Entlassung bei Krupp in Magdeburg
1923 wurde mein Vater Hans-Georg geboren, 1925 seine Schwester Rita. Harte Zeiten brachen an, als mein Großvater 1930 bei Krupp entlassen wurde. Er hatte sich dafür eingesetzt, während der Wirtschaftskrise nicht nur Arbeiter zu entlassen, sondern proportional auch leitende Angestellte. Um das magere Budget aufzustocken, machte meine Großmutter feine Handarbeiten für reiche Leute, und ihre Eltern unterstützten sie durch Lebensmittelpakete.
Start-up für Dampfkesselbau
1932 machte sich Großvater Georg selbständig und gründete ein Start-up, zunächst mit zwei Kompagnons, die aber bald ausschieden, so dass er ab 1935 seinen Betrieb für Dampfkesselreparaturen und Kesselbau allein führte. Er beschäftigte meist so um die zehn Leute. Die Büroarbeiten erledigte meine Oma. Bald konnte sie sich auch ein Hausmädchen leisten; denn neben meinem Vater und Schwester Rita lebte auch meine Großtante Adelheid mit im Haushalt, weil deren Eltern in Hecklingen sich zu alt für dieses Kind fühlten. Meine Großmutter war 21 Jahre älter als Adelheit.
Neidisch auf Essex Super Six
Schon 1933 kaufte Großvater sein erstes Automobil, einen alten Essex Super Six. Nun war natürlich der Neid der Verwandtschaft groß, von denen sogar einige drohten, uns die Reifen zu zerstechen.
Als selbständiger Handwerker konnte mein Großvater den Eintritt in die NSDAP, die National -Sozialistische – Deutsche – Arbeiter – Partei vermeiden. Wegen seines kriegswichtigen Betriebes wurde er auch nicht zur Wehrmacht eingezogen. Er setzte sich sehr für die Kirche ein, indem er z.B. mit dem Bischof auf Firm-Reisen fuhr oder in der Sudenburger Marienkirche schwere eiserne Anker einzog, damit sie nach den Bombenangriffen nicht zusammenfiel. Nach dem Kriege arbeitete er als Nicht-Belasteter und CDU-Stadtrat in den Entnazifizierungskommissionen mit, vor denen sich die ehemaligen Parteimitglieder verantworten mussten.
Viel getagt und viel gebechert
Es wurde in jener Zeit viel getagt und gebechert, es gab hauptsächlich auf dem Schwarzmarkt erworbenen Fusel. Opa rauchte außerdem wie ein Schlot, teilweise die fürchterlichsten selbstgezogenen Sorten. Er konnte schon mal mit einem Bekannten stundenlang (das ist keine Übertreibung) auf der Straße stehen und schwatzen, wobei er gedankenverloren mit dem Kleingeld in der Tasche klimperte. Eines Tages wurde es Mutter zu viel, denn sie merkte, daß es mit dem Betrieb rückwärts ging. Also schränkte Großvater seine politischen Aktivitäten stark ein. Außerdem wurde immer deutlicher, daß die Sowjets alle Hoffnungen auf eine demokratische Entwicklung wie in den Westzonen abwürgten. Da Georg mit der Meinung des damaligen CDU Vorsitzenden Jakob Kaisers übereinstimmte und daraus kein Hehl machte, kam es soweit, daß er aus Angst vor einer Verhaftung nachts außerhalb der eigenen Wohnung bei Bekannten schlief. Jakob Kaiser war 1945 Mitbegründer der CDU in der Sowjetzone und bis 1947 ihr Vorsitzender. Als er deren Teilnahme am kommunistischen Deutschen Volkskongress ablehnte, mußte er einer Verhaftung durch die Flucht nach Westberlin ausweichen. Danach wurde die CDU durch gefälligere Leute mehr und mehr angepaßt.
Auswanderungspläne verworfen
Georg konnte aber seinen Betrieb durch die DDR – Zeit retten, weil seine Kesselreparaturen lebenswichtig waren für Molkereien, Zuckerfabriken, Brauereien, Wurstfabriken etc. Lebenswichtig für die Familie war, daß er von daher auch schon mal Lebensmittel mitbrachte.
Mitte der fünfziger Jahre überlegte unser Großvater, ob er seinen Betrieb nicht in den Westen verlegen sollte, denn im Hannoverschen lebten noch viele seiner Kunden aus der Vorkriegszeit. Er hatte bereits Maschinen über die Grenze geschafft und Schirmer, seinen besten Meister, bewogen mitzugehen. Er machte seinen Entschluss dann aber rückgängig. Wir haben nie recht herausbekommen, warum, aber vielleicht hatte er erkannt, daß es schwer sein würde, im Wirtschaftswunderland, Fuß zu fassen. Er hat seinen Betrieb in Magdeburg behalten, bis er 1961 an Lungenkrebs starb.
Marie-Luise Greve, geb. Apel
Meine Oma Marie-Luise wurde von der Verwandtschaft Mimi genannt. Sie verbrachte ihre Kindheit und Jugend in Hecklingen, ein Vorort von Magdeburg. Nach der Schule ging sie nach Magdeburg, um im Marienstift, einem Krankenhaus, eine hauswirtschaftliche Lehre zu absolvieren, wobei das Kochen ihr Schwerpunkt war. Sie lernte auch schlesische Küche kennen. Da sie sehr gut war, durfte sie für die Patienten der ersten Klasse kochen und heimste viele Geschenke ein. Später kehrte sie nach Hecklingen zurück und half im elterlichen Haushalt, bis sie 1922 heiratete.
Der gutmütige, grummelige Ehemann
Sie war auch in ihrer Ehe eine gute Hausfrau und hervorragende Köchin, die aus geringen Dingen ein schmackhaftes Essen zaubern konnte. Sie hatte ein großes Talent, mit meinem oft grummeligen und manchmal missgelaunten Großvater umzugehen. Sie nannte ihn liebevoll “Hase” und lachte nur über sein Gemecker. Vor uns Kindern entschuldigte sie ihn immer mit seiner schweren Arbeit und betonte, dass er im Grunde sehr gutmütig sei, was ja auch stimmte.
Schnarchen in der Oper
Leider ging ihm jedes musikalische Gefühl ab, wohingegen sie die Oper sehr liebte und im Kirchenchor sang. Nachdem Großvater einige Male während einer Opernaufführung ziemlich laut schlief, nahm sie lieber meinen Vater mit.
Wenn mein Vater und seine Schwester Klavier oder Geige übten, und Großvater kam nach Hause, sagte er sofort: “Muss der Krach sein?”, woraufhin beide natürlich beleidigt aufhörten. Er tanzte auch nicht gerne, meine Oma aber sehr, weshalb es auch schon mal eine Eifersuchtsszene gab. Großvater war ein bisschen ein “alter Seebär”, er ging, als ob noch die Schiffsplanken unter ihm schwankten, also etwas breitbeinig. Meine Oma hingegen war schmal und zartgliedrig. Sie hatte als junges Mädchen eine schwere Operation an einem Ohr überstehen müssen, deshalb hörte sie besonders in späteren Jahren auf diesem Ohr nicht gut und als junge Frau hatte sie eine Unterleibsoperation, weshalb sie auch keine weiteren Kinder bekam. Mitte der dreißiger Jahre waren ihre ursprünglich welligen haselnussbraunen Haare schon weiß.
Sie litt sehr unter ihrem niedrigen Blutdruck, der ihr oft Schwindelgefühle verursachte. Besonders schlimm wurde das nach Großvaters Tod, als ihr oft sogar im Liegen schwindlig wurde, was sicher auch durch Depressionen verstärkt wurde. Schließlich raffte sie sich auf und stellte einen Meister ein, damit sie den Betrieb fortführen durfte. Eine seelische Stütze in diesen schweren Jahren war ihr ihre Schwester Adelheid, die mit ihrem Mann Herbert die untere Etage des Hauses in der Staßfurter Str. 9 in Magdeburg bewohnte, das meine Großeltern 1957 gekauft hatten.
Erwartungsvolle Wertanlage in Antiquitäten
Ein besonders schwerer Schlag war für meine Oma der frühe Tod ihrer Tochter Rita, die 1970 im Alter von 45 Jahren in Westberlin starb. Sie hatte zu ihr ein sehr gutes Verhältnis gehabt, und diese nutzte auch jede Möglichkeit, ihre Mutter zu besuchen. Meine Oma versuchte immer gerecht zu sein. Wenn meine Schwester ein Schmuckstück geschenkt bekam, erhielt auch meine Mutter Hildegunde etwas Ähnliches. – Die Großmutter hatte einen guten Geschmack und legte viel Geld in Antiquitäten an, die meine Eltern glücklicherweise nach ihrem Tode aus der DDR ausführen durften, u.a. eine “Salon”-Möbelsammlung, deren Wert später beim Verkauf leider weit unter unseren Erwartungen lag.
In den 70er Jahren durfte “Oma Magdeburg”, wie wir sie nannten, auch häufiger nach Westdeutschland reisen. Bei dieser Gelegenheit kam sie auch mal in die Eifel ins Blockhaus und machte auch Bekanntschaft mit der Schaal-Familie. Hans-Gerd’s Vater Schorsch erfüllte Ihr damals einen sehr sehnsüchtigen Wunsch und organisierte ihr etwas Weihrauch vom Pastor. Für Oma Magdeburg war das wie Weihnachten, weil es dieses “biblische” Geschenk in der antikatholischen DDR nicht gab.
Meine Großmutter war sehr diszipliniert und saß sogar noch am letzten Tage ihres Lebens (20.11.1979) an der Schreibmaschine, um Arbeiten zu verrichten. Am Nachmittag ging sie hinauf in ihr Wohnzimmer. Mein Großonkel Herbert, der sich in der unteren Etage aufhielt, hörte sie rufen. Als er nach oben gestürzt kam, seufzte sie noch einmal und war an einem Herzinfarkt gestorben.
Mein Vater fühlte gegenüber Herbert große Dankbarkeit, denn meine beiden Großeltern sind in seinen Armen gestorben. Er hatte auch meinen Großvater im Arm gehalten, als er an einem Blutsturz starb, was er als ein schreckliches Erlebnis schilderte.
Betrug schmälerte drastisch das Erbe
Leider stellte sich nach dem Tode meiner Großmutter heraus, dass der Meister sie schon über Jahre betrogen hatte, indem er sie Materialien einkaufen ließ, die er dann für eigene Geschäfte verwendete. Es mussten also fast 100 000 Mark an Rechnungen bezahlt werden, denen nur wenig Einnahmen gegenüberstanden. Nachdem auch noch Erbschaftssteuern zu zahlen waren, blieb für meinen Vater wenig übrig und das auch noch in Ostgeld, das er zunächst nicht transferieren durfte. Nach den Ostverträgen bekam er dann monatlich 200 Mark in Westgeld überwiesen. – Den Betrieb übernahm ein Ingenieur Clemens, der acht Jahre nach der Wiedervereinigung Pleite machte.
Die Abwicklung des Betriebes hatten Adel und Herbert übernommen, was mit viel Arbeit und Lauferei verbunden war. Der Meister wurde angezeigt und kam für 5 Jahre ins Gefängnis.
Zum Glück war meine Großmutter dem Rat meines Vaters gefolgt und hatte das Haus in Magdeburg ihrer Schwester Adelheid vermacht. So ist es in der Familie geblieben.